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Wörgl - Alexandra Salvenmoser....

.......ist Sprecherin der Selbsthilfegruppe „Lebenslang, doch endlich frei" mit Sitz in Wörgl, die nunmehr seit fünf Jahren besteht und Betroffenen die Möglichkeit gibt, im vertrauten Rahmen ihre Erfahrungen auszutauschen und Traumata aufzuarbeiten. Alexandra hat selbst sexuelle Gewalt am eigenen Körper erlebt.

Bereits im Kindesalter wurde die Tirolerin missbraucht. Die Täter wurden nie bestraft. Auch Gruppenmitglied Katrin­ hat Unfassbares durchgemacht. Als Kind wurde sie sexuell missbraucht, als junge Frau Jahre später von zwei Männern, die ihr beim Fortgehen Drogen in das Glas mischten, vergewaltigt. Auch diese Taten blieben unbestraft.

Die beiden Frauen möchten Betroffenen eine Stimme geben und aus dem Schatten treten.

Genau wie vor Kurzem jene Missbrauchsopfer, die bei der Oscar-Verleihung mit Sängerin Lady Gaga vor einem riesigen Publikum performten und mit ihrem Auftritt ein Zeichen setzten.
Es gehört sehr viel Mut und Stärke dazu.

Quelle: © AFP/Ralston

Katrin, 2006 wurden Sie von zwei Männern betäubt und vergewaltigt. Vor Kurzem haben Sie sich der Selbsthilfegruppe angeschlossen und überlegen, die Tat anzuzeigen. Was macht diesen Schritt so schwer?

Katrin: Anfangs stand ich unter Schock. Ich musste klarkommen, mit all dem Ekel und der Scham und begann, das Geschehene zu verdrängen. Im Nachhinein erschreckt es mich, wie groß das Ausmaß der Verdrängung geworden ist. Irgendwann glaubt man sogar, man habe das Erlebte aufgearbeitet — bis das Kartenhaus zusammenbricht.

Alexandra: Man funktioniert, verdrängt, legt Positives darüber. Aber bestimmte Trigger-Erfahrungen, wie etwa eine Stimme, Gerüche, ein Gesichtsausdruck oder ein Ort lassen Vergangenes wieder hochkommen. Der Verdrängungsmechanismus ist eine Überlebensstrategie des Körpers. Das starke Gefühl der „Beschmutzung", geschändet worden zu sein, macht es Betroffenen so enorm schwer, darüber zu sprechen.

Trauen sich Männer oder Frauen dann Jahre später darüber zu reden, müssen sie sich erst rechtfertigen, wenn es oftmals heißt: „Warum kommst du jetzt erst?" Man hat Angst, dass man verurteilt wird, man hat Angst vor Fragen wie „Warum hast du nicht Nein gesagt?", „Was hast du angehabt?".

Katrin: Ich bin eine starke Frau, aber auch ich bin verwundbar. Mein ganzes Leben hat sich verändert, mir wurde meine Freiheit, meine Entscheidung genommen. Ich leide unter einer irrsinnigen Kontrollsucht. Wenn ich einen Raum betrete, überlege ich als Erstes, wie ich herauskomme, wo es eine potenzielle Gefahrenquelle gibt.

Alexandra, Sie haben Ihre Erlebnisse u. a. in einem Buch aufgearbeitet. Katrin, haben Sie je mit Ihren Eltern darüber gesprochen?

Katrin: Nein. Je näher du einem Menschen stehst, desto verletzlicher machst du dich. Ich habe Angst, dass ich nur mehr als Person gesehen werde, die missbraucht wurde.

Ich habe mit meiner besten Freundin darüber gesprochen und auch in meinen Beziehungen, die aber alle daran zerbrochen sind. Viele Menschen sind mit der Situation überfordert, wollen helfen, wissen aber nicht wie. Letztendlich musst du sie dann stützen. Es fällt mir leichter, mit Fremden darüber zu sprechen, mit Menschen, die meine Lage nachempfinden können.

Das Thema sexualisierte Gewalt steht derzeit leider aufgrund der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht vielfach im Fokus der Berichterstattung.

Alexandra: Ja, es ist traurig, dass es einen solchen Anlass wie in Köln und die derzeitige Flüchtlingsthematik braucht, um über das Thema zu sprechen. Sexuelle Gewalt passiert auch in den eigenen vier Wänden, innerhalb der Verwandtschaft, an Kindern, oftmals schauen sogar Mütter weg — jedoch hört man davon viel zu wenig.

Wir — und da spreche ich im Namen meiner Gruppe — sehen die Lage derzeit wertfrei und wollen auch in keiner Weise gegen andere Nationalitäten sein oder gar hetzen. Frauen dürfen aber nicht als minderwertig betrachtet werden, Integration und Anpassung erachten wir deshalb als enorm wichtig.

Katrin: Ein Täter hat keine Hautfarbe, hat keine Nation. Es sind böse Menschen, die böse Dinge tun. Niemand hat das Recht, sexuelle Gewalt auszuüben, egal, welche Kleidung eine Frau trägt. Wenn eine Frau Nein sagt, dann heißt das Nein.

Wie gefährlich ist das Internet und die damit verbundene Pornofizierung? Wird dadurch Gewaltbereitschaft gefördert?

Alexandra: Sex ist allgegenwärtig. In den letzten Jahren ist leider eine Entwertung passiert. Intimstes preiszugeben, ist normal geworden. Junge Mädchen sind geradezu scharf auf den „Bitch-Status", posten anzügliche Fotos. Wer nicht mitmacht, läuft Gefahr ein Mobbingopfer zu werden.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Katrin: Auf jeden Fall sollen sich Betroffene aus der Isolation trauen und über ein Tabu mit lauter Stimme reden, damit es kein Tabu mehr ist.

Sexuell gesehen ist die Gesellschaft heutzutage aufgeklärt, aber mit einem so intimen Thema will sie oft nicht berührt werden. Autounfälle, Diebstähle und Einbrüche sind ,gesellschaftsfähiger', darüber wird geredet. Frauen und Männer dürfen nicht wegschauen, wenn eine Frau bedrängt wird, sondern sollen eingreifen. Wer wegschaut, macht sich mitschuldig.

Alexandra: Es braucht sensible Menschen in den Gerichtssälen, feinfühlige Polizisten. Die Frauen haben eine traumatische Erfahrung gemacht und brauchen Hilfe. Betroffene sollen nicht zu Opfern gemacht werden, sondern Respekt erfahren. Das Strafausmaß für Sexualstraftäter sollte viel höher sein und es sollte keine Verjährung geben. Warum darf Mord an der Seele verjähren?

Das Interview führte Nicole Strozzi

(Quelle: Tiroler Tageszeitung)

Der Oscar-Auftritt von Lady Gaga, der selbst sexuelle Gewalt widerfahren ist, berührte ein Millionenpublikum. Auf der Bühne wurde sie von 50 Missbrauchsopfern umringt, die sich an den Händen hielten und während des Songs aus dem Schatten ans Licht traten.